C.M. Werner
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Zwei Fabeln 


Klappentext: Zwei moderne Fabeln, die dazu auffordern soll, Mitgefühl und Empathie höher zu bewerten

 


Der Wölfin Herz

 

Eines Tages fiel Paul, der kleine Marder, in den Mühlenbach. Sein Freund, der Iltis, warf ihm einen großen Ast zu, an dem er sich mit den Zähnen festhalten konnte.

„Halte durch, ich hole Hilfe!“, rief er und rannte so schnell er konnte in den Wald.

Dort saß in einer großen Eiche die alte Eule und blinzelte schlecht gelaunt in die Morgensonne.

„Hilfe, zu Hilfe!“, rief der Iltis und sprang aufgeregt am Stamm der Eiche hoch, auf der die Eule saß.

„Was gibt es denn?“, krächzte die Eule und sträubte ärgerlich ihr Gefieder. „Kann man nicht einmal hier oben ungestört schlafen?“

„Du musst meinem Freund helfen!“, bat der Iltis. „Er ist in den Mühlenbach  gefallen und kann nicht schwimmen. Wenn der Ast, an dem er hängt, durchbricht, so ist er verloren!“

Die alte Eule riss ihren Schnabel weit auf, um herzhaft zu gähnen. „Ich würde ja gerne helfen“, heuchelte sie. „Doch leider habe ich an der Eulenschule  kein Diplom im Fach „Luftrettung“ abgelegt. Zudem ist es Eulen nicht gestattet, außerhalb der Nacht Erkundungsflüge durchzuführen. Wenn ich dabei erwischt werde, bekomme ich eine Menge Ärger mit dem Eulengremium.“

Dem Iltis blieb nichts anderes übrig, als es bei einem anderen Tier zu versuchen.

In einer Höhle zwei Wegbiegungen weiter wohnte der Fuchs. Auch er genoss sichtlich die Strahlen der Morgensonne, die in seinen Bau hinein schien.

„Du musst meinem Freund, dem kleinen Marder, helfen, der ins Wasser gefallen ist“, flehte der Iltis erneut. „Mit deinem langen Schwanz kannst du ihn leicht aus dem Wasser ziehen. Wirst du mir helfen?“

Der Fuchs kniff sekundenlang die Augen zusammen, als hoffe er, der Iltis sei ein Geist und würde auf diese Weise wieder verschwinden. Dann streckte er sich ausgiebig und fragte missmutig: „Und damit kommst du zu einem alten Mann? Ich habe gerade erst mein Fell  in der Sonne getrocknet-  mit einem Sprung ins Wasser werde ich mir bestimmt eine Lungenentzündung einfangen! Nein, mein Freund, für solche Kühnheit bin ich leider zu alt, suche dir bitte jemand anderen.“

 

Der Iltis rannte verzweifelt weiter. Da traf er den Dachs, der abseits des Weges in einem Gebüsch kauerte. Auch ihn bat der Iltis um Hilfe.

„Siehst du nicht, dass ich  einen Mordshunger habe und beim Frühstück bin?“ fragte der Dachs und deutete auf eine tote Schlange, die vor ihm auf dem Boden lag. „Doch halt- jetzt weiß ich, weshalb du zu mir kommst. Bestimmt ist das ein übler Trick, um mir meine Beute abzunehmen!“

Der Iltis eilte unglücklich weiter. Mittlerweile liefen ihm die Tränen die Wangen hinunter, weil niemand seinem Freund helfen wollte.

Das sah die Wolfsmutter, die auf einem Felsen am Wegesrand  mit ihren drei Kindern saß.

„Was hast du denn, kleiner Iltis?“ fragte sie und kam neugierig herbei.

„Mein Freund, der Marder, ist am großen Mühlenbach ins tiefe Wasser gefallen!“, antwortete der Iltis verzweifelt. „Nun hängt er an einem Ast und schafft von sich aus nicht, an Land zu kommen. Kannst du ihm nicht helfen?“

Die Wölfin sah ihn verwundert an. „Und nun soll ich meine drei Kinder unbeaufsichtigt lassen?“, fragte sie seufzend. „Sie sind in einem schwierigen Alter- was glaubst du, werden sie anstellen?“

„Ich könnte auf sie aufpassen!“, schlug der Iltis vor. „Wenn ein Feind vorbeikommt, sprühe ich ihm eine Ladung Iltisgeruch ins Gesicht- das hat bisher jeden in die Flucht geschlagen.“

„Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist“ sagte die Wolfsmutter. „Doch weil ich eine Mutter bin und kein Herz aus Stein besitze, werde ich dir helfen.“

Daraufhin stieß sie einen jaulenden Hilferuf aus, bis alle anderen Wölfe und Tiere des Waldes aufgeregt herbei eilten. Der Iltis berichtete erneut, was dem kleinen Marder zugestoßen war.

„Wir Tiere werden nun gemeinsam eine Lösung finden!“, mahnte die Wolfsmutter und erinnerte daran, dass auch im Wolfsrudel stets ein jeder für den anderen da war.

„Ich kenne jemanden, der ihm helfen kann!“, erklärte das Eichhörnchen. „Mein Freund, der Biber, wohnt unten am großen Dorfteich. Er ist fleißig wie eine Biene, stark wie ein Bär, kann Bäume fällen und schwimmt wie ein Fisch!“ Schon flitze es los zum alten Dorfteich, wo es den fleißigen Biber beim Dammbau antraf. Eine ganze Schar neugieriger Tiere folgte ihnen, bis alle beim großen Mühlenbach eintrafen, wo das Marderkind immer noch verzweifelt gegen die Strömung ankämpfte. Der Biber sprang mit einem Satz ins Wasser und ruderte wie ein Weltmeister los. Kurz darauf erreichte er das Marderkind, packte es am Genick und brachte es wohlbehalten zum Ufer zurück.

Dort warteten schon der Iltis, die Wölfin und ihr Rudel, das Eichhörnchen, eine Gruppe neugieriger Hirsche- ja, sogar die missmutige Eule, der faule Fuchs und der verfressene Dachs waren gekommen, um die Rettung des kleinen Marders nicht zu verpassen. Zusammen jaulten, fiepten, krächzten und röhrten sie um die Wette.

„Freunde, wir müssen zusammenhalten!“, rief der Fuchs über alle Köpfe hinweg, bis der Wald seine Stimme mit einem langen Echo zurückwarf.  „Die Not des heutigen Tages hat uns gelehrt, wie Tiere in schweren Zeiten zusammenstehen.“

Nun wollte jeder ein Held sein.

„Gerechtigkeit den Schwachen, Liebe deinen Nächsten!“, heulte die Eule und flog auf den höchsten Baumwipfel, damit jeder ihre Predigt hören konnte.

„Was mein ist, ist auch dein!“,  prahlte der Dachs und warf den letzten Rest seiner Mahlzeit dem kleinen Marder vor die Füße, der sich nach allen überstandenen Strapazen sogleich dankbar darüber hermachte.

Der Biber hörte von all dem nichts mehr. Er war kein Freund der großen Worte und hatte sich längst auf den Weg gemacht, um sich wieder seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Ausbessern seiner Dämme, zu widmen.

Die Menschen aber, die vom Lärm der Tiere verschreckt aus ihren Häusern eilten, sahen nur noch, wie eine Gruppe aufgescheuchter Hirsche, gefolgt von einer Wölfin und ihrem Rudel, in der Dunkelheit des Waldes verschwand. Eine Gruppe von Jägern machte sich auf, um die dreisten Wölfe zu erschießen, die am hellichten Tage die Menschensiedlung aufgesucht hatten.

Niemand ahnte, dass die Wölfin das erste Tier war, das die Schutzwürdigkeit eines fremden Wesens erkannt und dessen Not auf selbstlose Art und Weise zu verhindern gewusst hatte.  

 

 

 

Der weise Schneeleopard

 

In einem fernen Land lebten einst alle Tiere glücklich und in Frieden.
Eines Tages kam ein Rabe geflogen und brachte die Kunde von einem sehr harten Winter, der vielen den Tod bringen würde.

Nun wollte jeder gut vorbereitet sein.

Die Bienen sammelten noch mehr Honig als üblich, die Hamster rissen das Getreide von den Feldern, die Wildschweine durchwühlten den Wald nach Wurzeln und die Eichhörnchen schüttelten alle Nüsse von den Bäumen. Bald sah es im ganzen Reich aus, als sei ein Sturm über das Land hinweg gefegt.

Der Bär, der sich allmählich für den Winterschlaf wappnen wollte, konnten kaum noch Lachs finden, da sich auch im Wasser die Kunde vom harten Winter verbreitet hatte, so dass viele Fische nach Süden unterwegs waren.

„So kann es nicht weitergehen!“, sagte sich der Bär. „Ich will beim alten Schneeleoparden Rat suchen, der für seine Klugheit bekannt ist.“

Der alte Schneeleopard wohnte auf einem hohen Berg. Er hatte sich schon vor Jahren aus dem Tal zurückgezogen, um über das Leben nachzudenken, während er von ganz oben dem Treiben der Welt zusah.

„Sag, alter Freund, was soll ich tun?“, fragte ihn der Bär. „Die Prophezeiung des Raben hat großes Chaos bei uns angerichtet. Wie kann ich mir und meinen Freunden das Überleben sichern, da wir voll Sorge sind, bald nicht mehr genug zu essen zu haben?“

„Das ist eine gute Frage“, sagte der Schneeleopard. „Und ich freue mich, dass du damit zu mir kommst.“ Er betrachtete eine Gruppe aufgeregter Schafen, die unten im Tal über eine Wiese lief, um dort allen Klee abzuweiden. Dann antwortete er:

„Ich will dir einen Rat geben, mein lieber Freund, der sehr einfach klingt, doch in Wahrheit viel mehr Mut und Kraft erfordert, als du denkst: Macht es nicht wie die Menschen. Sie legen Jahr für Jahr große Mengen Vorräte an, doch in der Not rafft jeder nur für sich allein. Ein solches Treiben ist einem Tier unwürdig! Ab heute sei der Eine um das Wohl des Anderen besorgt. In Wahrheit nämlich ist allein die Furcht ums eigene Überleben Schuld an der ganzen Not.“

Der Bär bedankte sich und trat den Rückweg an. Er war entschlossen, seine Freunde zu warnen und ihnen mitzuteilen, was der Schneeleopard ihnen geraten hatte. Schon am nächsten Morgen rief er die Ältesten aller Tiere in der Frühe in seine Höhle.

„Der Winter mag werden, wie er will, doch wollen wir ihm nicht mit Furcht begegnen“, forderte er sie auf. „Der Schneeleopard schickt mich, um uns folgenden Rat zu geben: „Ab heute sei ein jeder für des anderen Wohl besorgt. Der Hase suche Nahrung für das Schaf, der Hirsch für den Hasen, das Schaf für die Ziege, das Eichhörnchen für das Schwein, und immer so weiter. Denn nur zusammen sind wir stark genug, um diese Prüfung durchzustehen.“

Die Tiere glaubten, nicht richtig gehört zu haben. Ausgerechnet der Bär, der allgemein als verfressen bekannt war, wollte sich als Retter in der Not aufspielen und ihnen Ratschläge geben? Sie stritten eine ganze Weile hin und her. Da aber die Weisheit des Schneeleoparden als legendär galt und zum Anderen niemand eine bessere Idee hatte, wie man Wald und Feld vor neuen Plünderungen bewahren sollte, willigten sie schließlich ein. 

Schon am nächsten Morgen zogen alle Tiere gemeinsam durch Wald und Feld.

Der Marder sammelte Honig für den Bären, der Hase suchte nach Klee für das Schaf, das Eichhörnchen versteckte Nüsse für das Wildschwein und der Fuchs jagte nach Mäusen für seinen Freund, den Dachs. Jeder erhielt vom Bären eine Aufgabe, bis es niemanden gab, der an sich selbst denken konnte. Auch der Bär war sehr beschäftigt. Er musste all die Nahrung, die man nicht vergraben konnte, in seine Höhle bringen, wo sie vor Wärme geschützt war, so dass nichts verdarb.

Alle waren erleichtert, nun nicht mehr mit der Sorge um das eigene Überleben beschäftigt zu sein. Die gemeinsame Arbeit machte ihnen sogar so viel Spaß, dass sie sich abends noch trafen, um beim Schein der untergehenden Sonne die Ereignisse des Tages zu besprechen.

So vergaßen die Tiere ihre Furcht vor dem Winter, und niemand verließ mehr das Land. Schließlich freute man sich auf den nächsten Tag und wollte seine Freunde nicht im Stich lassen, für die man die Verantwortung übernommen hatte.  

Bald schon drang die Kunde von der neuen Gemeinschaft der Tiere in alle Herrenländer, und es dauerte nicht lange, bis auch die Auswanderer zurückkamen, um daran teilzuhaben.

Als der harte Winter schließlich einzog, gab es genug Heu, Wurzeln, Nüsse und Fisch, um davon satt zu werden.

Und als eines Tages wieder die Frühlingssonne das Land erwärmte, kamen alle Tiere neugierig herbei. Da stellten sie fest, dass der Rabe sich geirrt hatte, denn ein jeder erfreute sich guter Gesundheit.

Der Bär lud alle in seine Höhle ein, um ein großes Fest zu feiern und die Freude über den Frühling mit ihm zu teilen. Sie aßen und tanzten so lange, bis endlich der Mond am Himmel stand und sich ein jeder müde zu seinem Schlaflager aufmachte.

Von diesem Tag an herrschte wieder Ordnung im Land der Tiere.

Und auch, wenn noch so manches Mal der Rabe wiederkehrte, um den drohenden Hungertod zu verkünden, erwartete man voll Zuversicht den nächsten Winter.

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